Ich will das Baby wieder zurückgeben…: 
Wenn „große“ Geschwister eifersüchtig sind

Wird ein Baby geboren, ist das ein wundervolles Ereignis für die ganze Familie. Wäre da nicht die Eifersucht des größeren Geschwisterkindes, die Eltern in der an sich schon ungewohnten Situation vor eine zusätzliche Herausforderung stellt. Wie Sie Ihr „großes“ Kind besser verstehen lernen und was Ihnen im Umgang mit Eifersucht helfen kann, erfahren Sie in diesem Artikel.

Stellen Sie sich vor: Ihr Partner kommt eines Tages mit einer Ihnen völlig unbekannten Person nach Hause. Er erklärt Ihnen, dass er diese Person genauso liebt wie Sie, und sie ab jetzt ebenfalls bei Ihnen wohnt. Außerdem verlangt er von Ihnen, alles mit dieser Person zu teilen, auf gewohnte Rituale zu verzichten und Rücksicht zu nehmen. Wie würden Sie reagieren? Was würden Sie empfinden? Sie wären wahrscheinlich ziemlich vor den Kopf gestoßen, verärgert, verunsichert, eifersüchtig. Und auch, wenn Sie sich noch so bemühen würden, mit dieser Person gut auszukommen und die neue Situation zu akzeptieren, so richtig leicht fallen würde es Ihnen nicht.

Es geht um die Krone

Genauso geht es auch Ihrem Kind, wenn es großer Bruder oder große Schwester wird. Gerade als Erstgeborenes kennt Ihr Kind nichts anderes, als im Familienverband im Mittelpunkt zu stehen. Es hat die uneingeschränkte Aufmerksamkeit und Zuwendung von Mama und Papa - und vielleicht sogar auch von Oma und Opa oder Onkel und Tante. Es braucht nicht zu teilen, auf niemanden Rücksicht zu nehmen - seine Wünsche und Bedürfnisse haben immer Vorrang. Alles dreht sich ausschließlich um das Kind - es wird behandelt, wie ein König. Und plötzlich kommt da jemand, der ihm die Krone streitig machen will. Jemand, der alles Gewohnte auf den Kopf stellt. Jemand, der sich offenbar zwischen das Kind und seine Bezugspersonen drängen will - und das scheinbar auch noch mit Erfolg. 

Was Familienzuwachs für das Kind bedeutet

Natürlich geben Sie als Eltern Ihr Bestes, um Ihr Kind auf den bevorstehenden Familienzuwachs und die damit verbundenen Veränderungen vorzubereiten. Es wird erklärt und geredet, beschwichtigt und beruhigt. Es wird versucht, das Kind so gut es geht in die Vorbereitungen miteinzubeziehen - es darf das Babyzimmer mitgestalten, Spielsachen aussuchen und hat vielleicht sogar Mitspracherecht bei der Namensfindung. Wahrscheinlich verbringen Sie auch noch extra viel Zeit mit dem Kind, um sozusagen einen Vorratsspeicher an Aufmerksamkeit und Zuwendung anzulegen. Doch wie es tatsächlich wird, wenn das Baby dann erst mal da ist, kann sich im Vorfeld vermutlich keiner so wirklich vorstellen. Am allerwenigsten Ihr Kind. 

In der ersten Zeit überwiegen bei vielen Kindern Freude und Euphorie über den Neuankömmling. Die veränderte Situation ist spannend, das Baby lustig und die neue Rolle als „großer Bruder“ oder „große Schwester“ erfüllt das kleine Kinderherz mit Stolz. Erkennt das Kind aber früher oder später, welche Folgen mit dieser neuen Rolle verbunden sind, kann es mit dem anfänglichen Enthusiasmus schnell vorbei sein.

Das Baby wird zur Bedrohung

Mama und Papa haben viel weniger Zeit, Besuch kommt nur noch wegen dem Baby und ständig muss Ihr Kind Rücksicht nehmen oder warten, weil das Baby schläft, schreit, trinkt oder eine frische Windel braucht.

Ihr Kind fühlt sich quasi vom Thron gestoßen. Es hat Angst, ist verunsichert, wütend, eifersüchtig. Es empfindet ein Gefühl des Mangels - seine Bedürfnisse werden nicht mehr ausreichend befriedigt. Das Baby ist zum Kontrahenten mutiert, das den Platz als unangefochtene Nummer eins für sich beanspruchen will. Kein Wunder, dass Ihr Kind früher oder später versucht, seine Position zu verteidigen und die scheinbar verlorene Krone zurückzuerobern. 

Zum Ausdruck kommt das durch eine Veränderung im Verhalten Ihres Kindes - und zwar auf unterschiedliche Art und Weise: Manche Kinder ziehen sich völlig in sich zurück, wirken unglücklich und traurig. Andere wiederum rebellieren gegen das Baby und greifen es möglicherweise sogar verbal oder körperlich an, indem sie es beschimpfen, zwicken oder hauen. Wieder andere schlüpfen selbst wieder in die Rolle des Babys, wollen nur noch getragen werden, können sich nicht mehr alleine anziehen oder machen wieder in die Hose. Und manche richten ihren Widerstand gegen die Eltern, indem sie sich Anweisungen widersetzen, Regeln missachten, Grenzen überschreiten. 

Was Familienzuwachs für die Eltern bedeutet

Auch für Sie als Eltern ist die Situation mit einem weiteren Kind ungewohnt und anstrengend. Ein eifersüchtiges Geschwisterkind macht es da natürlich nicht besser. Zu Schlafmangel und vielen anderen zurückgestellten Bedürfnissen der Eltern gesellen sich auch noch Unsicherheit, Hilflosigkeit und Überforderung dazu. Besonders Mütter plagt dann oft das schlechte Gewissen, weil sie befürchten, den Ansprüchen und Erwartungen von Kindern und Partner nicht gerecht zu werden. 

Gerade in solch herausfordernden Phasen ist es wichtiger denn je, dass Sie sich auch Eltern über Ihre Bedürfnisse, Sorgen und Wünsche im Klaren sind und diese eindeutig kommunizieren - sowohl Ihrem Partner oder anderen Ihnen nahestehenden Erwachsenen, als auch Ihrem Kind. Dieser Ansatz der klaren Kommunikation ist auch eine der wesentlichen Säulen für funktionierende Beziehungen im GORDON Training. 

Wie Eltern mit Eifersucht umgehen können

Was Ihnen als Erwachsener schon oft nicht leicht fällt, ist für Ihr Kind umso schwerer. Noch dazu, wenn es womöglich noch sehr klein ist. Die Veränderungen durch ein neues Baby lösen in Ihrem Kind ein regelrechtes Gefühlschaos aus. Mit rationalen Argumenten (z. B. „Das Baby braucht noch viel mehr Hilfe“), bestimmenden Erwartungshaltungen (z. B. „Das musst du verstehen, du bist doch schon groß“) oder Beschwichtigungsversuchen (z. B. „Du fühlst dich bald besser“) werden Sie nur wenig Erfolg haben. Diese typischen Kommunikationssperren bringen mitunter noch mehr Probleme, als sie helfen. 

Ihr Kind hat sehr intensive Empfindungen, die es weder einordnen, noch richtig beschreiben kann. Es weiß nur, dass sich irgendetwas gar nicht gut anfühlt. Deswegen braucht es Ihre Unterstützung als Eltern. Ein aussichtsreicher Schlüssel zur Problemlösung ist es, Ihrem Kind durch Aktives Zuhören auf seiner Gefühlsebene zu begegnen. Es hilft nicht nur Ihnen, die verschlüsselten Botschaften Ihres Kindes zu decodieren, sondern vor allem Ihrem Kind, das sich dadurch von Ihnen verstanden fühlt. Sie können und sollen Ihrem Kind damit seine Probleme nicht abnehmen, aber Sie können ihm hilfreich beistehen, um seine Gefühle und damit die Situation leichter auszuhalten.

Birgit Mayrhofer